top of page

Where is the beauty?

Über trendy Methoden, und warum sie uns letztlich nicht zu echtem musikalischen Ausdruck und Tiefe führen. 



Ich beobachte einen Trend: Der Wunsch nach Abkürzungen statt langfristig Zeit zu investieren und nachhaltig etwas zu lernen und zu wachsen.

Wir Musiker:innen lieben es, zu feilen, zu verbessern, zu perfektionieren. Wir sind geschult darin, Fehler zu entdecken, und das noch so kleinste Detail zu hinterfragen, korrigieren und zu verbessern. Unsere ganze Ausbildung lang werden wird uns beigebracht, die Ohren vor allem so auszurichten, Fehler zu entdecken und zu einer besseren (oder korrekteren Klangqualität) zu korrigieren um unser Niveau zu verbessern. „Hallo“ Perfektionismus! 


Doch inmitten all der Technik und schnellen Lösungen (quick fixes) frage ich mich: Wo bleibt die Schönheit im Musizieren und Singen? 



Das Problem mit Quick Fixes


In der Gesangspädagogik gibt es immer mal wieder trendige „Gesangsschulen“, die vermeintlich auf jedes Problem eine ganz einfache, simple und schnelle Lösung wissen. 

Sie arbeiten mit vereinfachten Schemata, bieten ein System, das leicht verständlich ist, wie eine Art Farbkasten wirkt, aus dem man ganz einfach eine Farbe aussuchen kann, die gerade zum Song passt. Alle Sounds sind möglich, und werden durch diese Abkürzung simpel erlernbar. Dieser Wunsch nach schnellen Lösungen beobachte ich übrigens auch im Business Kontext: viele träumen vom passiven Einkommen, vom Online Business, das in kurzer Zeit hohe Umsätze abwirft. Den Weg, den es braucht, damit das überhaupt umsetzbar und vor allem nachhaltig ist, eine Sichtbarkeit aufzubauen, einen Funnel, und wirklich in der Tiefe zu schauen, was dafür nötig ist, was man anbieten möchte, wofür man stehen will, was die Expertise ist, Marktforschung zu betreiben, und und und… dafür sind die meisten dann aber doch nicht bereit. Und beim Singen ist es ähnlich: sicher - manchmal findet man einen mühelosen, einfachen Weg, eine schnellere Lösung, die man alleine nie gefunden hätte. Dafür sind eben wir Gesangspädagogen da: um die blinden Flecken aufzudecken, das Ohr von außen zu leihen und eine neutrale Rückmeldung zu geben, auf das was wir hören, unsere Schüler:innen an die Hand zu nehmen, und ihnen die Welt der Musik zu eröffnen, das Instrument Stimme aufzubauen, auszubilden und im Besten Fall unabhängig und frei zu  machen. 


Ich verstehe, dass schnelle Lösungen verlockend sein könne. Es klingt zu schön um wahr zu sein: du kannst JEDEN Sound lernen, den die menschliche Stimme machen kann. In einfache Kategorien und Farben verpackt, Stütze lernen in einer Session, und dann aus den gelernten Farben einfach auswählen, mix and match aus dem Farbkasten, sodass du vermeintlichen Farbenreichtum in deiner Stimme hast. Was dabei allerdings oft übersehen wird und in der Arbeit mit dem Instrument Stimme verloren geht ist, dass die Stimme kein Ding ist, das „funktioniert“, das man manipulieren kann, sondern dass du als Sänger:in selbst dein Instrument bist. Und der Klang der Stimme fängt eben nicht im Kehlkopf an (wo du sowieso nicht manipulieren solltest, wenn du dir einen wirklich freien Klang wünschst), sondern in deinem Körper. 

Diese Manipulation der Farben und des Kehlkopfes suggeriert Kontrolle. Deswegen ist das ganze auch so verlockend! - Ein Baukasten System, dass dir alles erlaubt, weil du im Kontrollzentrum sitzt. Nur macht es das Singen unorganisch, unlebendig, und klingt vor allem kontrolliert. Versteh mich nicht falsch: Singen ist nicht kompliziert! Aber singen ist hoch komplex. Weil wir hochkomplex sind, und die Musik, die wir singen, ebenso. Das zu reduzieren auf etwas banales wie Sounds und Modes und Effekte… I don’t like it! ;-) 


Die lebenslange Aufgabe als Sänger:in ist es, mit diesem Körper und mit deiner Emotionalität in echten Kontakt zu gehen, dich mit ihm zu verbinden, deine Wahrnehmung zu schulen, mit den Jahren immer weiter zu verfeinern, damit DU Expert:in wirst für DEIN Instrument. Wie fließt deine Luft? Wie artikulierst du Vokale? Wo spürst du Raum? Wie durchlässig und beweglich kann dein Körper sein, sodass er wirklich in Resonanz geht, und deine Stimme mühelos und strahlend klingen kann? Welche Emotionen spürst du? Wo spürst du sie? Welche Farbe locken sie in deiner Stimme hervor? Was machen sie mit der Phrasierung deiner Bach-Arie, oder dem Singer-Songwriter-Lied, das du gerade entdeckt hast? 


Farbkasten? JA! - Aber eben DEINER. Ein Farbkasten der in dir ist, und der dein Instrument nicht von außen anmalt, aber letztlich nichts mit dir zu tun hat. Dafür bedarf es allerdings Mut… den Mut, wirklich und wahrhaftig hinzuschauen, deine Stimme kennen und lieben zu lernen, dich in jedem Raum, in jedem Winkel deines Instruments auszukennen, liebevoll und nachsichtig mit dir umzugehen, der Stimme zu dienen, sie zu versorgen, Spaß zu haben und Genuss zuzulassen. Dann muss nichts funktionieren und hergestellt werden. Dann ist alles schon in dir. Und wenn du genug Kontrolle loslässt (ich spreche immer von kontrolliertem Kontrollverlust), dann ist es möglich, FREIHEIT beim Singen zu empfinden, und vor allem zu hören! Dann entsteht Resonanz, dann blitzen die schönsten Klangfarben hervor, dann klingst DU!



Was Musik wirklich braucht


Weißt du, wenn man ein Instrument wirklich lernen will (nehmen wir als Beispiel Klavier oder Geige), dann ist ganz klar, dass es JAHRE dauern wird, bis wir dieses Instrument auf einem bestimmten Niveau beherrschen. Wir arbeiten mehrmals die Woche für Stunden an unserer Technik, an Geläufigkeit, Klangqualität, Ausdruck, und an Repertoire. Nicht nur daran, dass Repertoire auf dem Instrument umsetzen zu können, sondern auch, es musikalisch auf einer tieferen Ebene zu verstehen: dazu gehört z.B. beim Klavier ganz selbstverständlich harmonische und strukturelle Analyse. 


Einzig beim Gesang denken viele Menschen (inklusive professionelle Musiker:innen), dass man es entweder kann, oder eben nicht. Dass man Talent hat, oder eben nicht. Dass man Blattsingen nicht lernen kann, sondern es eben kann, oder nicht. Aber: die Stimme ist ein Instrument wie jedes andere. Man kann es lernen! Von der Pike auf kann man sein Instrument bauen, und jeden Winkel davon kennenlernen, neugierig erforschen, alle Farben kennenlernen, die man zur Verfügung hat, und ein Handwerk etablieren, dass dir erlaubt, dich in Nuancen mit deiner Stimme auszudrücken, sie belastbar für lange Probentage zu machen und nachhaltig für viele Jahre leistungsfähig auf der Bühne zu benutzen. 


Es braucht meines Erachtens nach einige „Zutaten“:


Zeit

Zum Musiker zu werden, und als Musiker:in immer besser zu werden braucht einen langen Atem, und das unbedingte Bedürfnis, immer tiefer in die Materie einzusteigen. Ein Instrument wirklich zu lernen, sich zu spezialisieren, und sich gut auszukennen in der Musik und vor allem mit deiner Stimme: das braucht Zeit! Jahre. Wenn du dem Prozess mit Neugierde und Offenheit begegnest, kann das die schönste Reise des Lebens werden.

LiebeLiebe für die Musik, aber vor allem: Liebe für deine Stimme. Und die kommt leider so so vielen professionellen Sänger:innen abhanden, sei es im Beruf oder schon im Studium. Die ständige Kritik von außen, das skeptische beäugen des eigenen Klangs, der Leistungsdruck der Branche, abliefern müssen, den Erwartungen anderer entsprechen… das alles sorgt dafür, dass wir uns von unserer eigenen Stimme immer weiter entfremden. Viele nehmen ihr instrument regelrecht als Fremdkörper wahr, bis sie sich irgendwann gar nicht mehr mit ihrem Klang identifizieren können, sich selbst nicht mehr spüren. Stattdessen plädiere ich dafür, dir selbst mit Wohlwollen und Liebe zu begegnen, freundlich mit dir zu sein, und dein Instrument (wieder) lieben zu lernen, dich daran zu erinnern, wieso du ursprünglich mal mit der Musik angefangen hast, was dich zum Singen bringt. 


Hingabe

Erinnerst du dich an einen Moment in deinem Leben, entweder beim Üben, im Probensaal oder sogar auf der Bühne, in dem du dich selbst und die Zeit vergessen hast und Musik gesungen hast, die sich so anfühlt, als wäre sie nur für dich geschrieben worden? Wo sich gleichzeitig alles mühelos anfühlt, und dich von innen heraus aufwühlt, aufbricht und verletzlich macht? Wo du denkst „das will ich den Rest meines Lebens singen, hier fühle ich mich ganz wie ich selbst“.…Literatur die du stundenlang singen könntest, wo du selbst beim 50. Mal Singen noch neue Details entdeckst, dich gerne in die Kurve legst, und mit Freuden in die Gestaltung gehst? Mmmmmmhhhh…. Das tut gut und hält dein Licht am leuchten. 


Sinnlichkeit

Ich spreche immer wieder darüber: Wahrnehmung ist als Sänger:in das A und O, das allerwichtigste, das uns den Weg weist, uns Rückmeldung gibt über unseren Zustand, unser Instrument, und damit über unseren Klang. Nur wenn du gut mit dir selbst in Kontakt kommen kannst, wirklich hinschaust, spüren lernst, sowohl körperliche Phänomene als auch deine Emotionen in all ihrer Intensität, wenn du weißt, wie Töne schmecken, duften, welche Konsistenz sie haben… bist du ganz in der Sinnlichkeit angekommen. 


Und das ist eben entgegengesetzt zu dem Baukasten-Prinzip. Denn es ist sehr viel organischer, natürlich, durchlässiger und flexibler, arbeitet mit mehr Nuancen und Farbigkeiten, und ist detaillierter zu betrachten.


Echten „Willen“

...den Ehrgeiz, den es braucht, dranzubleiben und das tiefe Wissen, dass Musik in deinem Leben sein MUSS. 

Tägliches Üben, sich Versinken in die Tiefen der Musik, eintauchen in Klangwelten verschiedener Komponisten, das Hineingeben in die Phrasierung unterschiedlichster Stilistiken, den Entdeckergeist, das ewige Aufsaugen von Informationen, sich selbst neu erfinden, Ausdruckswillen stärken, dem nachgeben, und das regelmäßig über lange Zeit, um immer ein Schickt tiefer zu kommen…

Für mich war sehr früh klar: Musik muss jeden Tag in meinem Leben sein. In irgend einer Form will ich Musik machen, oder anderen dabei helfen, das zu tun. Rückblickend weiß ich: das wusste ich schon als Kind. Wenn du dich also für ein Leben als Musiker:in entscheidest, solltest du dich fragen: 

Will ich mich jeden Tag damit beschäftigen? Auch an den schwierigen Tagen? Will ich das Musik ein zentraler Teil meines Lebens ist? (Aber nicht der einzige! Auch das vergessen leider viele…)


Im Idealfall lernt man das alles im Gesangsunterricht, entdeckt eine ganze Welt an Möglichkeiten sich stimmlich auszudrücken, und entdeckt vor allem sich selbst dabei!

Hier könnte noch ein Fallbeispiel folgen, das ich evtl. zu einem späteren Zeitpunkt hinzufüge.


Zum Abschluss - eine Frage an dich: Wo zieht es dich hin?Schnelle Ergebnisse, kurzfristige Sprints die möglicherweise zu langfristigen Problemen führen? Die dich limitieren. Oder: Ausdauer und Geduld, und die Entscheidung einen Lebensstil zu führen, der dich als Sänger:in und Musiker:in wachsen lässt, dich nachhaltig entwickelt, der aber Zeit und Geduld und Liebe braucht?  



Fazit


Ich hoffe ich konnte dir heute einen Einblick in meine Gedankenwelt geben, wie ich Musik sehe, wie ich über Gesangsunterricht denke, welche Dinge für mich zentral in der Entwicklung einer Stimme und eines Klanges sind. 


Wahre Kunst und Kunstfertigkeit, ist ein Handwerk, das man lernen kann, und das ganz individuell ist. Echt Kunst entsteht dann, wenn wir die Technik loslassen können, und uns der Hingabe widmen. Echte Kunst entsteht im werden.


Also: Enjoy the process of becoming. ❤️

 
 
 

Kommentare


bottom of page